Heinrichsen, Wilhelm - Nürnberg
 

Aufsatz im "Album des Literarischen Vereins in Nürnberg für 1861", Verlag Bauer & Raspe, Nürnberg 1861

Abschrift

   
 

Über Ludwig Richters Holzschnitte.

Von Wilhelm Heinrichsen

   
 

Die Feder, welche diesen Aufsatz schreibt, wird weder von einem Kunstkenner und Kunstrichter, noch von einem Künstler geführt; sie steht in dem untergeordneten Dienste eines einfachen Kunstliebhabers. Wer daher eine kunstgelehrte Abhandlung erwartet, der möge zur Ersparung von Aergerniß und Enttäuschung diesen Aufsatz ungelesen liegen lassen.

Wer Richters Holzschnitte bereits kennt, dem ist wohl ein Gleiches anzurathen. Er wird nichts Neues erfahren; er hat mit eigenen Augen geschaut und mit einem Fühlen empfunden; er hat aus der Quelle geschöpft, während ihm der Verfasser einen Trank kredenzt, den er auf langem und beschwerlichem Wege in dem hölzernen Gefäße der Rede herbeigeschafft hat. Ist es wohl zu verwundern, wenn er denselben schal und abgestanden findet? -

 

Der vorliegende Aufsatz hat den alleinigen Zweck, diejenigen, welche Richter noch nicht kennen, auf seine Werke aufmerksam zu machen. Der Verfasser schreibt denselben, weil ihm Richters Holzschnitte in einer Reihe von Jahren lieb und theuer geworden sind, weil er in hundert Stunden Zerstreuung und Erheiterung darin gefunden, und weil er auch Andren gerne die liebliche Oase in der großen Wüste der Alltäglichkeit zeigen möchte, auf welcher er zu Zeiten so herrlich ausruhte. Er handelt dabei nach dem alten Spruche, weß das Herz voll ist, des geht der Mund über, und von diesem Standpunkte aus bittet er, diesen Aufsatz mit Nachsicht zu beurtheilen.

 

Ludwig Richter ist am 28. September 1803 zu Dresden geboren. Er ist Zeichner und Maler, Professor der Akademie zu Dresden, Inhaber des bayerischen Ordens zum heiligen Michael, Ehrendoktor der Universität zu Leipzig, Ritter der französischen Ehrenlegion, und was mehr als dies und vieles Andere gilt, er ist ein Mensch in der reinsten und schönsten Bedeutung des Wortes, reich und edel von Gemüth, dabei bescheiden und anspruchslos, mild und von herzgewinnender Güte. Eine ziemlich hohe und magere, leise nach vorwärts gebeugte Gestalt, mit ruhiger und würdevoller Bewegung, so tritt uns Richter entgegen. Sein graues Haar von stattlicher Fülle, das auf beiden Seiten hinter die Ohren gekämmt ist, erhöht den ehrwürdigen und sanftmüthigen Ausdruck seines Gesichts. Ein großes, rundes Augengläserpaar von bläulicher Farbe versteckt die treuen, freundlichen Augen  und gibt Zeugniß davon, daß sie im anstrengenden Dienste der Kunst schwach und matt geworden sind. Vorherrschend in Schwarz gekleidet, mit einem ziemlich langen Rocke angethan, durch keine flatternde Binde oder sonst wie den Künstler verrathend, könnte seine höchst einfache und herkömmliche Erscheinung am ersten Veranlassung geben, ihn für einen recht freundlichen Dorfschullehrer und Organisten zu halten.

Schlicht wie sein Aussehen ist auch sein Wesen und sein Wirken. Er lebt nicht über dem Volke, sondern wandelt mitten unter ihm und hat sich mit tausend Wurzeln fest eingegraben in seines Volkes Art und Wesen. Doch nicht von der Persönlichkeit des Mannes, sondern von seinem Wirken soll hier die Rede sein, und zwar nur von einem Zweige desselben, nämlich von seinen Holzschnitten. -

 

Ludwig Richters Holzschnitte sind theilweise künstlerische Zugaben zu Märchen, Erzählungen und Geschichten, theilweise sind sie selbständige, künstlerische Werke, bei denen die angefügten Sprüche und Auszüge gleichsam als Motto gelten. Zur ersten Gattung gehören seine Studenten- und Volkslieder, Bechsteins Märchenbuch, Hebels alemanische Gedichte und Musäus Volksmärchen; zur andern Gattung sind zu rechnen: das Richter-Album (worin ein großer Theil seiner Holzschnitte aus verschiedenen Werken zusammengetragen ist), das Göthe-Album, Erbauliches und Beschauliches (ein Familien-Bilderbuch), die Holzschnitte zum Vaterunser und zu Schillers Glocke, sowie sein jüngst erschienenes, noch nicht vollendetes Werk: Für's Haus. Die meisten dieser Werke zeichnen sich durch große Billigkeit aus und eignen sich in unvergleichlicher Weise zu einem Geschenke, bei dem es weniger auf das Nutzbringende als auf das Sinnige und Vergnügengewährende ankommt. -

 

Wie peinlich sind doch oft die Verlegenheiten derer, die sich so gerne am Weihnachtsfeste, an Geburtstagen und sonstigen Festen beschenken und erfreuen möchten! Es grübelt der Vater und sinnt die Mutter; in tiefes Nachdenken versunken sitzt die Schwester, und schwere Runzeln bedecken die Stirne des Bruders. Rathlos irrt der Bräutigam von einem Schaufenster zum andern; er findet Stoffe und wiederum Stoffe, Schönes und Nützliches, Herrliches und Kostbares; doch nur selten etwas, das zum Gemüthe spricht. Da tretet denn ihr Suchenden getrost in die nächste Buchhandlung, laßt euch Richters Holzschnitte zeigen, und in zehn Fällen wird eure schwankende Wahl neun Mal einlaufen in den sichern Hafen eines freudigen Entschlusses.

 

Richters Holzschnitte beschäftigen sich in ihrer Gesammtheit mit der Darstellung volksthümlichen Glückes und volksthümlicher Zufriedenheit. Sie bilden gleichsam einen Gesang, der in stets erneuter und veränderten Weise das frohe Lied zum Grundton hat: "Was frag' ich viel nach Geld und Gut, wenn ich zufrieden bin?" Gar niemals führt uns der Künstler in die Prunkzimmer der Großen und Reichen; er läßt seine glänzenden Wagen mit betreß´ten Dienern an uns vorüberrollen; er stellt uns nicht auf den großen, lärmenden Markt des Lebens und zeigt uns keine Helden in blutiger Arbeit oder im stolzen Siegeszuge, - die freie Natur, die niedrige Hütte und die Kinderstube, das sind die Lieblingsorte seines Aufenthaltes, und wo er uns hinführt, da wird uns wohl, und das Herz wird uns weit. Die kleinste Erkerstube, die Holzbank hinter dem Kachelofen, den steinernen Sitz an der Quelle, den Rasenplatz unter schattigen Bäumen weiß er mit so viel Traulichkeit und Gemüthlichkeit zu umgeben, daß man unwillkürlich wünscht: hier möchte ich ausruhen von des Tages Last und Hitze und froh sein im Kreise froher Menschen. Gemüthlichkeit, diese Ureigenthümlichkeit deutschen Wesens, diese Sonntagsfeier des inwendigen Menschen, durchweht mit warmem Hauche alle Schöpfungen seines Griffels. Es schweigen die Leidenschaften, und dennoch herrscht keine Grabesstille in der Werkstätte des Denkens und Empfindens; Gottes Friede hat sich in die Brust gesenkt, und auf dem Altare des Herzens lodert das Gefühl der Menschenliebe in heiliger und ruhiger Flamme. In solchen Stunden hat man keinen Feind und kann Niemand hassen; man ist mit sich, mit seinem Gotte und mit der ganzen Menschheit ausgeglichen; man möchte alle Welt glücklich wissen oder am liebsten selber glücklich machen. Es ist jene deutsche Gemüthlichkeit, die kein dolce far niente, kein être à son aise und kein comfortableness wiedergibt; sie hat nichts Träges und Selbstisches, das nur das eigene Wohlsein in's Auge faßt, am allerwenigsten ist es ein bloses physisches Wohlbefinden; es ist die Weihestunde, in welcher der strenge Gedanke seiner lieblichen Schwester der Empfindung den Bruderkuß auf die Stirne drückt.

 

Diese Stimmung, woran der Künstler so überreich ist, geht beim Beschauen seiner Werke unmerklich auf uns über und verscheucht gleich der heiligen Musika Verstimmung, Unmuth und Unruhe aus unserem Wesen. Harmlose Bürger und Bauern mit ihren Frauen und Kindern bei den allergewöhnlichsten Verrichtungen: beim Essen, Trinken, Arbeiten und Spazierengehen, das ist der Boden, auf dem sich der Künstler beinahe ausschließlich bewegt, so lange er aus freier Wahl und Neigung schafft. Nirgends begegnen wir in seinen Werken jenen frostigen Größen, die wohl unser Staunen und unsere Bewunderung, nicht aber unser Herz gewinnen. Größe besteht ja eigentlich nur als Gegensatz zur Niedrigkeit und Gemeinheit, und wir müssen zuerst diese empfinden, ehe wir jene zu würdigen verstehen. Daher dieses Wohlbehagen, das wir bei der Betrachtung von Richters Holzschnitten empfinden. Wir lernen diese Gegensätze vergessen; unser ganzes Wesen wird in Einklang gebracht; es gibt nichts Hohes und nichts Gemeines für uns, sondern reine in sich selbst ausgeglichene Menschheit, still, herrlich und groß wie eine schöne Mondnacht. Ein heiterer Gottesfriede liegt in Richters Werken über die belebte und unbelebte Natur ausgebreitet; dem Künstler war es vergönnt, trotz des Cherubs mit dem Flammenschwerte in das verlorene Paradies der Menschheit zu schauen, und was er dort geschaut, das verkündet er uns in schlichter und prunkloser Weise; die Welt ist unserem Künstler kein Jammerthal, und für die kleinste Freude die sie ihm beut, ist er empfänglich und dankbar. Diese Dankbarkeit ist die Quelle einer tiefen, warmen, kindlich frommen Gottesverehrung, der wir in seinen Werken vielfach begegnen.

 

In der Stille des Sonntagmorgens kniet der Schäfer einsam auf sonniger Bergeshöhe und schickt sein Dankgebet zum Herrn. Durch wogende Kornfelder, an fruchtbehangenen Obstbäumen und blühenden Rosenhecken vorbei wandeln die Landleute von nah und fern zu dem winkenden Kirchlein auf bewaldeter Anhöhe. "Sie wollen in die Wohnung des Herrn gehen und anbeten vor seinem Fußschemel:" Indessen kommen sie nicht gesenkten Hauptes, mit scheuen Blicken und lebenssatten Mienen; es sind keine verzückten, andächtigen Schwärmer, die die Erde ob des Himmels vergessen und dieses Erdenleben verdammen um seiner Unvollkommenheit willen. Ihr Gott ist die Liebe, Liebe wohnt in ihren Herzen, mit dem Blicke der Liebe schauen sie um sich, und wie sie um sich schauen, so spiegeln sich ihnen Dinge und Menschen wieder. Im besten Sonntagsschmucke, mit flatternden Bändern und Blumen am Mieder wandeln liebliche Jungfrauen zum Gotteshause. Sie halten es nicht für Sünde, schön und jung zu sein, sie verhüllen nicht die Wohlgestalt ihres Leibes mit düsterem Nonnenschleier und glauben nicht, Gott ein wohlgefälliges Opfer zu bringen durch das Gelübde klösterlichen Lebens. Richters religiöse Darstellungen haben bei aller Einfachheit eine Wärme, die wir gar häufig bei den übersinnlichen Leistungen der höheren christlichen Kunst vermissen. Der Beschauer braucht sich seiner Menschheit nicht zu entkleiden, um sich als ein rein geistiges Wesen auf den Fittigen der Andacht empor zu schwingen; mit Erdenlust und Erdenweh tritt er vor seinen Schöpfer, und wenn auch irdisches Glück nicht das Endziel aller seiner Wünsche ist, so bildet es doch einen wesentlichen auch berechtigten Theil derselben.

 

Zuweilen ist die innigste Andacht mit dem reizenden Humor zu wundervollem Einklange gepaart. Es ist wie auf Feld und Au, wo so häufig die widersprechendsten Farben neben einander stimmen. Als Meisterstück dieser Gattung kann das erste Blatt in seinem Erbaulichen und Beschaulichen betrachtet werden. In einer traulich engen Bauernstube, in die durch das geöffnete Fenster zwischen blühenden Blumen hindurch die Sperlinge und Sonnenstrahlen hereinstehlen, sitzen die Hausbewohner beim einfachen Mittagsmahle versammelt. -

Der Vater mit abgezogenem Käpplein in den Händen spricht eben das Tischgebet. Die Mutter, eine rüstige und blühende Frau, hat das jüngste Kind auf dem Schooße und sieht mit mütterlich frommem Wohlgefallen auf den kleinen Sprößling nieder, der ahnungsvoll die kleinen Händchen faltet. Eine junge Katze, von der alten beifällig beobachtet, benützt den unbewachten Augenblick und versucht, von verheißungsvollen Gerüchen geleitet, das Tischtuch sammt dem Mittagsmahle herabzuzerren. Von diesem räuberischen Beginnen wird sie indessen durch ein kleines Mädchen abgehalten, das ihn in allerliebst kindlichen Weise mit dem Eßlöffel droht. Der älteste Knabe, durch diesen Vorgang in seiner Andacht gestört, läßt die gefalteten Hände sinken und blickt mit einer Mischung von Neugierde und schicklichem Unmuthe seitwärts nach der verwegenen Räuberin. Zu beiden Seiten des Bildes sind anmuthige Randzeichnungen in entsprechendem Geiste angebracht. Rechts begießt ein Engel die Bäume des Waldes mit Thau und Regen, damit auch das muntere Reh und der schlanke Hirsch ihr täglich Brod fänden. Links reifen Kirschen für den Sperling im Neste, und damit es auch dem Säugling an nichts fehle, so hängt an den untersten Ausläufern der kunstreich verschlungenen Arabesken ein ganzes Bündel schwellender Schnuller.

 

Neben dem Gefühle der Dankbarkeit ist die vertrauensvolle Zuversicht, daß alle Leiden dieser Erde Fügungen eines höheren, weisen und wohlwollenden Wesens seien, ein weiteres, kennzeichnendes Merkmal von Richters religiösen Darstellungen. An diese Zuversicht knüpft sich der Glaube an ein Jenseits und einstiges Wiedersehen. Zu Zeiten führt uns der Künstler an den Sarg eines lieben Dahingeschiedenen, oder hinaus auf den Todesacker an verwitterte Leichensteine. Schmerzdurchdrungen, aber mit ruhiger Ergebung ruht der letzte, bange Blick des Gatten auf der Leiche seines treugeliebten Weibes. Schon schleppt der Todtengräber den Sargdeckel herbei, und wenige Augenblicke nur umspielt der Sonne Licht den Raub des Grabes. Da faßt der Gatte noch einmal die kalte Hand seiner Lebensgefährtin, und mit tiefempfundenen Händedruck dankt er der Gespielin seiner Jugend, der Mutter seiner Kinder für alle Liebe und Treue, die sie ihm bewiesen. Ein ernster Augenblick ist uns in diesem Bilde vor die Augen geführt, aber es ist kein Zustand trostloser Verzweiflung. Ruhe, Würde und Gottergebung waltet ungeachtet des Seelenschmerzes über der ganzen Gruppe und ruft eine feierlich ernste Stimmung in dem Beschauer hervor.

Auf einem andern Bilde weint ein trauerndes Elternpaar an dem Grabe eines frühverstorbenen Kindes; aber rings da treibt es und keimt es in der wiedererwachten Natur und predigt von Auferstehung. Des Kindes verklärte Gestalt schaut aus den Wolken hernieder und streckt dankbar segnend die Hände aus. Indessen unterbricht nur selten ein Klage- und Mißton die heitere Stimmung, welche über Richters Holzschnitte ausgebreitet liegt. Wo aber ein Mißton erklingt, da ist es stets das Verhängniß, das ernst hineingreift in das Leben, nie aber die eigene Schuld, und das versöhnende Element liegt immer in der nächsten Nähe.

 

So sehen wir einmal einen armen blinden Mann am holden Maientage bettelnd am Wege sitzen. Der Alte ist jedoch nicht verlassen; der treue Hund sitzt ihm zur Seite, die schmucke Enkelin erzählt ihm hingebend von des Frühlings Pracht und Herrlichkeit, und der Baum, unter dem er sitzt, regnet seinen Blüthenschnee auf ihn hernieder. Der blinde Mann ist gleichsam nur uns zur Lehre und Mahnung in die blühende Landschaft gesetzt, damit wir uns desto dankbarer und inniger des Frühlings erfreuen. -

 

Bösewichter und Verbrecher, neidische oder gar boshafte Menschen sind dem Stifte unseres Künstlers gar nicht geläufig. Höchstens begegnen wir einmal einem lustigen Zechbruder, dem das Röcklein zerrissen ist und die Schuhe zerplatzt sind, und der dabei singt: "Ein Heller und ein Batzen, die waren beide mein; der Heller ward zu Wasser, der Batzen ward zu Wein". In solchen Burschen liegt jedoch stets mehr Humor, als wirkliche Verkommenheit. Eigentliche Verbrecher zeichnet Richter nur dann, wenn es der Text, den er mit Bildern zu versehen hat, erfordert. Diese Gestalten gehören jedoch sicher nicht zu seinen besten Leistungen und sehen trotz allem Zubehör eines Banditen, als struppigen Haaren, verwildertem Barte und großem Dolche noch ungemein zahm und friedlich aus.

 

Die Darstellung der sieben Schwaben geht unserem Künstler ungleich mehr von Herzen, als die Verherrlichung irgend eines privilegirten oder unprivilegirten Menschenschlächters, mag er nun sein blutiges Handwerk aus Hunger oder Ehrgeiz, aus Verzweiflung, Neigung oder bitterer Nothwendigkeit treiben. Das Tragische ist durchaus nicht das Fach unseres Künstlers; er ist beinahe ausschließlich lyrisch, und nur von Zeit zu Zeit macht er einen glücklichen Streifzug in das Gebiet des Romantischen und Humoristischen. Richters Humor ist der harmlosesten Art; er ist keine Geißel der Schwachheiten und Thorheiten; er ist der Sonnenblick, der erheiternd in das Leben hineinfällt. -

 

Der Stil, in dem Richters Kunstleistungen gehalten sind, ist derjenige der Einfachheit, Natürlichkeit und Wahrheit. Verständlich für Jedermann, der Melodie des Volksliedes zu vergleichen, die Manchem zu Herzen bringt, den die kunstreichsten Symphonien ungerührt lassen, sind des Künstlers Schöpfungen ein Gemeingut für Alle. Da braucht man nicht Falten- und Muskellehre, nicht Philosophie und Weltgeschichte, Allegorie und Symbolik zu kennen, um den Künstler zu würdigen; ein empfänglicher und unverdorbener Sinn für das Schöne reicht vollkommen aus, um seine Werke zu verstehen, und sich an denselben zu vergnügen. -

 

Gehen wir von diesem allgemeinen Merkmale der Holzschnitte Richters über auf die vorzüglichsten Träger derselben, so stellen sich uns die Kinder in erster Linie dar. Sie sind auf der überwiegenden Mehrzahl seiner Blätter vertreten und bilden häufig den alleinigen Gegenstand derselben. Richters Kindergruppen sind von bezaubernder Lieblichkeit und Wahrheit, frisch und voll gesunden Humors. Wahrlich es bedarf mehr, als eines aufmerksamen Studiums der Kinderwelt; - man muß selbst ein Kind sein, d. h. man muß den frohen, frischen, ungetrübten Blick, die heitere Sorglosigkeit, das frohe Genießen des Augenblickes besitzen, um solche Kinder zeichnen zu können. Die ganze, unbewußte Seligkeit der Kinderjahre, die genügsamen und doch so tiefsinnigen Freuden derselben werden uns in zahllosen Darstellungen vor die Augen geführt. Vom zarten Säugling, der in der Mutter Armen ruht, bis dahin, wo ein ungestümer Thatendrang den Jüngling in die Ferne treibt und Sehnen und Hoffen seine und der Jungfrau Brust erfüllen, verfolgen wir das Kind in allen Entwicklungsstufen; wir sehen es bei allen seinen Festen, von des Frühlings erstem Gruße bis zu des Winters eisigem Schneegestöber.

Da jauchzt ein nudeldicker Prachtjunge dem wiederkehrenden Storche entgegen, dort windet man Kränze und springt frohlockend durch Wald und Fluren, hier zieht eine jubelnde Kinderschaar triumphirend hinter der vollen Kartoffelschüssel her, und dort wirft sich die übermüthige Jugend mit Schneeballen. Überall ein Klingen und Singen, ein Flöten und Schalmeien, der reine, wolkenlose Kinderhimmel. Wem der Anblick solcher Kinderlust nicht das Herz erfrischt, der muß eine dicke Eiskruste um dasselbe tragen und hat so leicht keinen Frühling mehr zu hoffen.

Mit den unartigen und verwahrlosten Kindern geht es dem Künstler, wie mit den Verbrechern; sie sind ihm wider die Natur. - Einen Struwelpeter und Suppenkaspar, rauflustige Rangen, oder gar Thierquäler suchen wir vergebens in seinen Darstellungen. So groß ist des Künstlers Abneigung gegen ungezogene Kinder, daß er nicht einmal dann sich entschließen kann, solche darzustellen, wenn der beigegebene Text es erfordert. -

 

Es gewährt einen eigenen Reiz, Richter in diesem Punkte mit andern Künstlern zu vergleichen. So hat z. B. Retzsch in seinen Umrissen zu "Schillers Glocke" die bekannte Stelle: "Und lehret die Mädchen und wehret den Knaben" ganz treffend dadurch zur Darstellung gebracht, daß er die weise waltende Hausfrau das vor ihr stehende Töchterlein im Nähen unterrichten läßt, während sie gleichzeitig den beiden Buben, welche sich um ein Spielzeug balgen, mit erhobenem Zeigefinger droht.

Richter hat zu derselben Stelle ein allerliebstes Bildchen mütterlichen Waltens entworfen. Hier sehen wir gleichfalls zwei Brüder. Der eine betrachtet nach Kennerart aus der Ferne einen etwas dekorativ gemalten Bilderbogen, den er eben mit saftigem Pinsel angestrichen hat. Der andere, ein hölzernes Schwert über die Schulter haltend, sieht mit Gönner- und Kennermiene dem künstlerischen Schaffen seines jüngeren Brüderleins zu. Kein Streit und Zank, ja nicht einmal die entfernte Ahnung eines solchen stört die idyllische Ruhe des Bildchens. Ich will ein solches Abweichen des Künstlers von dem begleitenden Texte gerade nicht als Vorzug rühmen; ich erwähne es nur als eine charakteristische Eigenschaft, um zu zeigen, wie tief die Gemüthlichkeit in ihm wurzelt. -

 

Man kann den Künstler der Einseitigkeit beschuldigen uns ihm Vorwürfe darüber machen; gewiß ist es jedoch eine liebenswürdige Einseitigkeit, die er offenbart, und wir sind ja dem Frühling auch nicht gram, wenn er stets in derselben Weise wiederkehrt und immer nur Blüthen und nichts als Blüthen bringt. Richters Kinder sind jederzeit folgsam und gutgeartet, ohne deßhalb Schlafhauben zu sein; sie halten viel auf Reinlichkeit, springen des Sommers mit Jubelgeschrei in die klare Fluth und plätschern im Winter voll Wohlbehagen in der Badewanne. Die Buben sind säuberlich gekämmt, die Mädchen tragen das Haar in zierlichen Flechten, oder es wallt kunstlos und frei, gleich einem natürlichem Mantel, über die Schultern auf den Rücken hernieder. In der Kleidung sind sie schlicht, ohne Fratzerei und Firlefanz und doch immer gefällig und nett. Richters Kinder sind alles weniger als Kostverächter; es ist ein bausbackiges Völklein, strotzend voll Kraft und Gesundheit; tapfer hauen sie in die Schüssel ein, und herrlich mundet in der Vesperzeit der rothwangige Apfel zum mächtigen Schwarzbrod. -

 

Züchtig, tief empfunden und voll reicher Poesie sind die Bilder, worin der Künstler das Glück der Liebenden feiert. Wer freilich ungestüme und feurige Liebhaber, blumenreiche Schwätzer mit modischer Frisur und vielgewandten Manieren, kecke Abenteurer auf schwindligen Strickleitern und dergl. in Richters Werken sucht, der thut besser daran, sie ungesehen liegen zu lassen. Richters Liebhaber sind ein gar bescheidenes und träumerisches Völklein; das Herz ist ihnen zum Zerspringen voll; der trunkene Blick schweift durch alle Himmel; reich sind sie an Empfindung, aber arm an Worten. Der Augen mildes Leuchten, der sanfte Druck der Hand, der schüchterne Kuß unter flüsternden Zweigen, das ist die Sprache, welche sie reden. Kein Schein von Flatterhaftigkeit haftet an ihrem Wesen; sie ist ihnen fremd, wie dem Golde der Rost. Etwas mehr Sammlung des Geistes und größere Herzhaftigkeit könnte ihnen hin und wieder nicht schaden; sie sind mitunter gar zu "duselig" und in sich selbst versunken.

 

Von bezaubernder Anmuth sind Richters Jungfrauengestalten; so reine, lautere, unverfälschte Natur! Sie sind der Höhepunkt, die Perlen und Edelsteine seiner Schöpfungen. In all ihrem Thun und Treiben ruft Liebeszauber, und bei aller Hoheit ihres Wesens tragen sie doch nichts überschwengliches und überirdisches zur Schau. Sie sind keine Himmelsbewohner, die, unserem Wesen entrückt, in verklärten Regionen schweben, sondern die lieblichsten der Erdenkinder. Was Schönes in des Menschen Brust schläft, was Liebes sein Herz durchbebt, ist über sie ausgegossen und leuchtet mit dem milden Strahle des unbewußten und unerkannten Werthes. So reich sie an Gemüth sind, so schön sind sie von Antlitz und Gestalt. Schlank und kräftig mit regelmäßigen, feinen und gewinnenden Gesichtszügen führt sie uns der Künstler vor die Augen und ist weit davon entfernt, uns die Reize ihrer Gestalt mit zwitterhafter Schamhaftigkeit zu verhüllen.

Aber frei von allem Sinnenkitzel sind diese Darstellungen; nirgends verbuhltes Wesen, jederzeit züchtig, keusch und rein. Daß aus der Verbindung so sanfter und beständiger Jünglinge mit so ehrbaren, minniglichen und häuslichen Jungfrauen eine glückliche Ehe entspringen muß, liegt außer allem Zweifel. -

 

Die Darstellungen ehelichen Glückes bilden eine Lieblingsaufgabe des Künstlers. Überzeugender, beredter und eindringlicher als er kann Niemand über die Freuden des eigenen Heerdes predigen. Diese Verherrlichungen häuslichen Glückes sind die besten Apostel, welche ausgesendet werden können, um das angebliche Umsichgreifen der Ehelosigkeit zu verhindern. Wer bei der Menge häuslichen Unfriedens, bei den tausend Fällen bitterster Enttäuschung, bei dem Erkalten der feurigsten, uneigennützigsten Liebe, die das Leben den schönsten Träumen entgegenhält, an der Hoffnung auf die Beständigkeit ehelichen Glückes verzweifelt, dem predigen Richters Holzschnitte laut, daß bei Genügsamkeit und gegenseitiger Duldung, bei treuem einigem Zusammenstehen dennoch ein Glück in der Ehe zu finden ist, das werth ist darum gelebt zu haben. Mit glücklichem Takte versteht es der Künstler, alle Sonnenpunkte häuslichen Glückes herauszugreifen. "Sei hochbeseligt, oder leide, das Herz bedarf ein zweites Herz; getheilte Freud' ist doppelt Freude; gehteilter Schmerz ist halber Schmerz", so tönt es uns aus allen seinen Bilder entgegen.

 

Mit welcher Fülle von Behaglichkeit, Traulichkeit und weihevoller Stimmung versteht er die Festtage und Feierabendstunden zu umgeben! Nach des Tages Last und Hitze sitzt der Hausvater unter dem grünen Baldachin seiner Hütte an der Seite seines schmucken Weibchens und schmaucht vergnüglich sein Pfeifchen. In milder Sommernacht, wenn die reifenden Aepfel sich niederbeugen über seine Hütte, weilt er mit seinen Lieben beim Rauschen des Brünnleins, und blickt andächtig empor zu der flimmernden Sternenpracht. -

Wenn die Blätter fallen, und rauhe Winde mit Regenschauer das Haus umstürmen, wie ist's da so heimlich im traulichen Stübchen, wo der Großvater den lauschenden Enkeln Geschichten und Mährchen erzählt, das Spinnrad schnurrt, oder der Vater auf dem prunklosen Claviere zur Freude der Seinigen musicirt! Daß es der Künstler bei seiner bereits erwähnten Vorliebe für Kinder an einem reichen Segen daran auf seinen Familienbildern nicht fehlen läßt, wird Niemand überraschen. Unter 5 - 6 Sprößlingen geht es bei ihm nur selten ab, und das einzige Befremdende dabei ist die ewige Jugend der Mütter, die gar manchmal als die älteren Schwestern des vergnügten Häufleins gelten könnten.

 

Wenn ein neuer Weltbürger zur Taufe getragen wird, da jubelt nicht allein das Vater- und Mutterherz; die ganze Natur jauchzt ihm mit fröhlichem Willkomm entgegen. In den Zweigen und Bäumen ein fröhliches Flüstern, Neigen und Rauschen; heller Sonnenschein liegt über die Landschaft verbreitet, Schmetterlinge umgaukeln den Zug, Vögel trillern ihm lustige Weisen, und selbst der dicke, fette Mops, der in seinen alten Tagen nur selten mehr über die Schwelle des Hauses kommt, thut sein Möglichstes und wackelt schwerfällig hinterdrein.

Die Thiere spielen eine große Rolle auf Richters Holzschnitten. Sie sind die theilnehmenden und sympathisirenden Begleiter des Menschen in Freud und Leid. Eichhörnchen belauschen die Liebenden; die Katze, als Sinnbild der Häuslichkeit und Reinlichkeit, streicht schnurrend und kosend um die holde Spinnerin; dem wandernden Burschen bringt die Taube einen Gruß aus der Heimath; vorzüglich sind es jedoch die Hunde, welche der Künstler mit Vorliebe behandelt. Wenn die Kinder mit den Neujahrs- oder Geburtstagswünschen aufziehen, da naht auch blumenbekränzt der redliche Wächter des Hauses, und reicht seine Pfote treuherzig zum Glückwunsch dar. Giebt es eine schöne Aussicht zu genießen, so versäumt der vierbeinige Naturfreund sicherlich nicht, sich einen erhöhten Standpunkt zu verschaffen. Beim Essen darf er selbstverständlich gar nicht fehlen, und wie er die Freuden der Familie theilt, so nimmt er auch an ihren Leiden Antheil und sitzt trauernd am Grabe der Dahingeschiedenen. Wer freilich Richters Thierzeichnungen mit den Augen des Kunstanatomen betrachtet, wem die vollendete Naturwahrheit Klein'scher Thierstudien vor Augen schwebt, der wird keine sonderliche Befriedigung an ihrem Anblick finden. Richter will empfunden sein. Er macht es sich ebensowenig zur Aufgabe, den Anforderungen eines bestimmten Stiles zu genügen, als er sich angelegen sein läßt, die Natur mit ängstlicher Genauigkeit wiederzugeben

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Erfassen wir Richter nochmals in seiner Gesammtheit, so müssen wir bekennen, daß derselbe durch und durch ein deutscher Künstler ist. Sein Deutschthum ist kein geflissentliches und beabsichtigtes; es offenbart sich nicht in Formen und Aeußerlichkeiten, noch darin, daß er uns deutsche Helden und deutsche Geschichte vor Augen führt. Sein Deutschthum ist tief in dem Wesen seiner Bilder begründet. Das deutsche Gemüth mit seinem Glauben, Lieben und Hoffen, mit seiner Treuherzigkeit, Redlichkeit und Offenheit, mit seiner Anhänglichkeit für Haus und Hof, für Weib und Kind, mit seiner Sitteneinfalt und Reinheit; das deutsche Gemüth mit seinem sinnigen und träumerischen Wesen, echt und unverdorben in seiner herrlichsten Offenbarung, das ist der innerste Kern seiner Bilder, das ist die Triebfeder seines Schaffens und der Genius seiner Kunst. -

 

Ludwig Richter ist ein grünes Blatt an der Eiche deutscher Kunst. Wollen wir zum Schlusse dieses Aufsatzes wünschen, daß kein rauher Sturm das idyllische Leben, aus dem er seine Bilder schöpft, trübe, und daß er noch lange schaffen möge, sich zur Freude und uns zum Genuß.

 

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