Der Standhafte Zinnsoldat - Nachrichten für Liebhaber der Zinnfigur, Joachim Ritter, Markkleeberg b. Leipzig, - 8. Jahrgang 1935
Heft 10 Nr. 97 vom 1. Oktober 1935
   
  Von Kunst und Herkommen der Kleinzinngießerei Schweitzer (sic) in Dießen a. Ammersee.
Von E. Dollega
   
  Wenige kurze Hinweise im "Standhaften" haben mich veranlaßt, mich für die Art der Schweizer'schen Arbeiten und schließlich gar für die Geschichte des Hauses zu interessieren. Ist auch das Gebiet für die Sammler vorwiegend militärischer Art etwas abseitig, so möchte ich doch gern hoffen, daß unter den übrigen Zinnfigurensammlern einiges Interesse aufzutreiben wäre.
Um 1740 ist im Ammerseer Gebiet schon eine Haus- und Hausierindustrie in Zinnwaren vorhanden, die von den Bauern neben ihrer kärglichen Bodenwirtschaft betrieben wird.
Erstmals begegnet uns in der Ammerseer Zinnindustrie eine Frau, wie noch mehrmals später, immer eine geschäftstüchtige, zuchtvolle und fromme, deutsche Frau, die das Geschäft zielbewußt  vorwärts treibt oder in schweren Zeiten mit eiserner Energie über Wasser hält.
Zuerst ist es die Therese Schweizer, Nachfahrin eines von Peißenberg zugewanderten Müllers, Tochter eines Stukkatorers, die 1780 (richtig 1777) den Ring- und Schnallenmacher Neumayr heiratete. Ein Brief von ihr, eine wuchtige Anklage einer tief verwundeten, kernhaft-deutschen Frau und Mutter an den ungetreuen Gatten, zeichnet klar und sehr sympathisch das Bild dieser hohen Frau.
Ihr Neffe, Adam Schweizer, sollte mit Gewalt Schuster werden, verbarrikadierte sich einst im Hühnerstall und trotzt der Familie die Erlaubnis ab, immerhin Goldschmied werden zu dürfen. Aus unbrauchbaren Werkzeugen seines Vetters Schuster machte er sich heimlich die ersten Gravierstichel, fing brav erst nach seines Vaters Tod eine Zinngießerei an und wurde der eigentliche Gründer des heute bekannten Schweizer'schen Unternehmens, bescheiden immer noch "Kleinzinngießerei" genannt, wegen der Eigenart der hergestellten Gegenstände.
Ein reizender Scherenschnitt der Zeit zeigt ihn als wohlsituierten Bürger und Hausvater mit seiner Frau Monika im Dießener Sonntagsnachmittagsstaat.
1812 nimmt er den Handwerksburschen Josef Rathgeber aus Haidhausen, der die Großzinngießerei erlernt hat, ins Haus. Dieser, durch kaufmännische Fähigkeiten ausgezeichnet, heiratet die 16-jähriger Tochter Helene, wird Teilhaber und erwirbt bald das Haus der obbemeldeten Therese Neumayr, in dem lange noch die Rathgeber'sche Zinngießerei betrieben wurde. Helene, weise und fürsorglich, leitet oder überwacht mit der ihr in allen Dingen eigenen Energie den Betrieb, bis die Arbeitsame 1870 die Augen schließt.
Adam Schweizer, den es sehr zu figürlichen Darstellungen drängte, fertigte neben dem Rosenkranzzubehör vornehmlich Amulette und entwickelte aus diesen die Taferln, feinst ziselierte Zinneinlagen über Metallspiegeln oder auch unter Glas. Leider verwandte er sein großes Talent nicht oder fast nicht an Zinnsoldaten, weil er der 100 Jahre länger bestehenden und gut eingeführten Nürnberger Industrie nicht beizukommen hoffte und schließlich auch hierfür kein geschultes Personal hatte.
Nur nebenbei und nur für die eigenen Kinder schuf er einiges, wie bayerische Dragoner und Fußsoldaten, Panduren, Schäfereien, ein Paradies und eine Rokokojagd. Wenn die Figuren auch zu Aufstellungen heute kaum mitzuverwenden sind, so muß angesichts dieser herrlichen Sammlerstücke doch tief bedauert werden, daß Adam Schweizer sich nach dieser Seite nicht stärker verausgabt hat. Der eigenen geringen Wertschätzung wegen gingen damals die Soldaten zu 24 Kreuzer, die Tiere zu 48 Kreuzer das Pfund ab, alles blank.
An figürlichen Darstellungen, teils aufstellbar wie Zinnsoldaten, wurden sonst eben aus naheliegenden Ursachen gefertigt: allerlei Heilige, Kindln und Madonnen, Ablaßmünzen, Rosenkranzblättchen, Filigrankreuze, Wallfahrtssymbole, heilige Geräte für Kinder - Puppenspielzeug kaum, wegen der Nürnberger Komkurrenz - Pfeifchen, Waagen, Wägelchen und Kindlwiegen.
Adams Sohn, Anton Schweizer, ebenfalls zeichnerisch begabt, gravierte sehr sauber in Stein und in Metall; die Großzinngießerei gab er ab.
1876 trennten sich die Schweizer und Rathgeber. Ein gewisser Stillstand war dann zu überwinden, bis der Vater der jetzigen Besitzer, Adam Schweizer, zur Führung des Geschäfts herangereift war, der die Gewerbeschule in München besucht und sich außerdem bei norddeutschen Meistern umgesehen hatte. Er arbeitete 1912 zur Münchener Gewerbeschau nach Entwürfen von Prof. Röhm eine "Mittelarlterliche Reiterschlacht" und eine "Landsknechtschlacht".
Nach den Stürmen des Weltkriegs gelangte die heutige Firma "Babette Schweizer" durch die tatkräftige Aufbauarbeit des Herrn Dr. Bruno Schweizer unter der Leitung von dessen Mutter, Schwester und Bruder glücklich zu neuem Aufblühen.
Die Seele des Geschäfts dürfte die Künstlerin Anni Schweizer sein, die das geistige Erbe der Väter in vollem Umfang übernommen und durch Studien an der Kunstgewerbeschule München unter Prof. Niemaier, Prof. Wadere und an der Schnitzschule Bischofsheim vertieft hat. Ihre Meisterstücke seien der "Ammerseer Betteltanz" und die "Bauernprozession". Außer dem wunderschönen "Märchenwald" sei nochmals das im "Standhaften" früher schon erwähnte Kasperltheater genannt, dessen Figuren künstlerisch und technisch bewundernswert sind. Im übrigen gibt es von ihr zahlreiche ähnliche Aufstellsachen, schöne Krippenfiguren, Christuskörper, eine Miniaturkrippe in einem bischofsmützenähnlichen Gehäuse, ein einzigschönes Miniatur-Flügelaltärchen, Taferln und Madonnen, aus denen solch bluts-angestammte, sichere Handwerkstradition zu uns spricht, daß selbst der Kenner nur zu oft vor der Frage steht: alt oder nachempfunden?
Das ist im überkonfessionellen Sinne Kunst, die jeden angeht, wie wir es in unserem bestimmt mehr militätischen Sammlerkreis bereits festgestellt haben und es wäre zu wünschen,daß auch anderwärts der großen, kleinen Kunst dieser Zinnfigurenausstellungen vielleicht wenig gezeigten Dinge etwas erhöhtes Interesse entgegengebracht würde.
Auf die fleißige Arbeit des Herrn Dr. Bruno Schweizer: "Die Geschichte der Kleinzinngießerei in Dießen a. A.", die neben dem rein handwerksmäßigen einen interessanten Beitrag zur Familienforschung darstellt und die den vorstehenden Ausführungen zugrunde liegt, sei auch nochmals ausdrücklich verwiesen. (Im Eigenverlag der Fa. Babette Schweizer, Dießen a. A., Preis RM. 1,35 incl. Versandkosten.)
   
  Zurück zur Firmengeschichte